Indianische Heiler


Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein stammten nahezu alle Berichte über indianische Heiler von Missionaren und Ärzten, aber auch teilweise von Militärs - also in einer weit überwiegenden Mehrzahl von Gegnern der Glaubenssätze und Auffassungen, die die Indianer vertraten. Es ist unüberschaubar viel über schamanistische Praktiken indianischer Heiler geschrieben worden. Alle diese Quellen, selbst neuere Betrachtungen aus dem 20. Jahrhundert, stützen sich auf Aussagen aus dem 17. Jahrhundert, etwa von Pierre Biard, Father Jacques Gravier, Paul LeJeune, Jean de Brebeuf, Baron de Lahontan, Louis Hennepin, Josephe Jouvency oder Ales Hrdlicka, die sich ausführlichst in Beschreibungen heidnisch-primitiver Bräuche und Riten ergehen. Da ist von Fetischismus und Rasseltänzen, Geistervertreibungen, Zaubersprüchen und Dämonenkult, von Exorzismen und Beschwörungen die Rede.

Man kann und darf die damaligen Zeitgenossen - so ehrenhaft auch die ihren Berichten zugrunde liegenden Motive gewesen sein mögen - nicht von jenen Bekenntnissen getrennt verstehen, denen sie aus innerster Überzeugung anhingen: die Ärzte ihrer damaligen «Medizin» und deren Anspruch, einzige und alleingültige Basis umfassender Heilkunst zu sein, und die Missionare ihrer puritanisch-christlichen Religion und ihrer unerschütterlichen Dogmen, denen alle anderen Glaubensbekenntnisse als finsterstes Heidentum und Teufelswerk galten. Man darf auch nicht vergessen, daß die weitaus überwiegende Mehrzahl solcher Berichte an Ärztliche Standesorganisationen oder vorgesetzte kirchliche Gremien gerichtet waren, gegenüber denen sich ein Berichterstatter Darlegungen, die von den herrschenden Lehren abgewichen wären, nicht erlauben konnten. Auch die Berichte von Zeitgenossen aus anderen wissenschaftlichen, technischen und militärischen Bereichen unterlagen ähnlichen Voraussetzungen. Man muß auch davon ausgehen, daß indianische Heiler ihre Praktiken nie erläuterten - das ist erst in jüngster Zeit geschehen -, und daß der spirituelle Hintergrund indianischer Gebräuche ebenfalls im Dunkel blieb.

Unter diesen Voraussetzungen müssen sämtliche Interpretationen zeitgenössischer Chronisten als äußerst oberflächliche, oft falsche Eindrücke gewertet werden, die von einer realistischen Beurteilung weit entfernt waren. Um so seltsamer mag es erscheinen, daß seither solche Interpretationen mehr oder weniger kritiklos übernommen und ständig als «Quellenangaben» wiederholt werden.

Demgegenüber erscheint es gerechtfertigt, indianische Heiler selbst zu zitieren, so etwa den Sioux-«Medizinmann» John (Fire) Lame Deer dessen Äußerungen der amerikanische Journalist Richard Erdoes von 1964 bis 1972 akribisch festhielt und 1972 als Memoiren des Heilers unter dem Titel <Lame Deer - Seeker of Visions> veröffentlichte. Alvin M. Josephy, Autor des Buches <Indian Heritage of America>, schrieb über den Band; «Er [Lame Deer] hat mit so vielen falschen Informationen und Stereotypen über Indianer, über ihre Wertvorstellungen und Lebensart aufgeräumt, daß wir beschämt darüber sein sollten, wie wenig wir tatsächlich über alles das wußten, was er uns zu berichten hat. Er ist als Individuum und als Vertreter seines Volkes jemand, den alle Leser kennenlernen sollten - nicht nur diejenigen, die sich für Indianer interessieren, sondern jeder Amerikaner.

Lame Deer beklagt sich darüber, daß der gebräuchliche Begriff «Medizinmann» irreführend sei: «Medizinmann», das ist ein Wort des weißen Mannes wie Squaw (Frau), Papoose (Kind), Sioux oder Tomahawk (Kriegsbeil) - Wörter, die es in der Indianersprache nicht gibt. Ich wünschte, es gäbe passendere Wörter, um klarzumachen, was Medizinmann bedeutet, aber ich kann keine finden. Deshalb denke ich, daß wir uns mit dem Wort Medizinmann begnügen müssen. Es vermittelt aber nicht die vielen verschiedenen Bedeutungen, die einem Indianer in den Sinn kommen, wenn man Medizinmann sagt.

Wir haben verschiedene Namen für verschiedene Menschen, die verschiedene Dinge tun. Ihr habt für sie nur dieses eine belanglose Wort. Zuerst unterscheiden wir den Heiler (Pejuta Wicasa), den Mann der Kräuter. Er heilt nicht mit Kräutern allein, er muß die Kraft zum Heilen haben. Dann haben wir den Priester (Yuwipi = der Gefesselte), den Mann, der die Kraft der Rohhaut und die Fähigkeit besitzt, heilende Mineralien zu finden. Wir sprechen auch vom Seher (Waayatan), dem Mann der Visionen, der Geschehnisse voraussehen kann, die in der Zukunft passieren. Dann gibt es die Beschwörer (Wapiya), die ihr Hexenmeister nennen würdet. Unter ihnen finden sich auch einige Scharlatane. Eine andere Art Medizinmann ist der Heilige Clown (Heyoka). Aber je mehr ich darüber nachdenke, um so fester glaube ich, daß der wirkliche Medizinmann der Heilige Mann (Wicasa Wacan) ist. Er kann heilen, prophezeien, zu den Kräutern sprechen, die Mineralien bestimmen... aber das alles ist für ihn ohne große Bedeutung. Es gibt für ihn nur Entwicklungsstadien, die er durchschreitet. Der Wicasa Wacan hat sie alle hinter sich gelassen. Er hat die größte visionäre Einsichtskraft. Er möchte nur, abseits von Menge und alltäglichen Dingen, er selbst sein. Er liebt es, zu meditieren, gegen einen Baum oder Felsen gelehnt, die Erde unter sich zu bewegen, das Gewicht dieses großen flammenden Himmels über sich zu spüren. Auf diese Weise ergründet er die Dinge. Die Augen schließend, sieht er vieles klarer. Was man mit geschlossenen Augen sieht, das zählt.

Der Heilige Mann liebt die Stille, umhüllt sich damit wie mit einer Decke, eine laute Stille mit einer Stimme wie Donnergrollen, die ihm vieles offenbart. Solch ein Mann liebt es, an einem Platz zu sein, wo es keinen anderen Ton als das Summen der Insekten gibt. Er sitzt, dem westlichen Horizont zugewandt, und bittet um Hilfe. Er spricht zu den Pflanzen, und sie antworten ihm. Er lauscht den Stimmen der Tiere. Er ist eins mit ihnen. Von allen Lebewesen fließt unaufhörlich etwas in ihn hinein, und etwas fließt aus ihm heraus. Ich weiß nicht, wo oder was, aber es ist da. Ich weiß es.

Diese Art von Medizinmann ist weder gut noch schlecht. Er lebt - das ist alles. Weiße Leute bezahlen einen Priester, damit er <gut> sei, sich in der Öffentlichkeit benehme, damit er einen Kragen trage und sich von einer bestimmten Art von Frauen fernhalte. Aber niemand bezahlt einen indianischen Medizinmann dafür, gut zu sein, sich zu benehmen und achtbar zu handeln. Der Wicasa Wacan handelt, wie er ist. Ihm ist Freiheit gegeben, die Freiheit eines Baumes oder Vogels. Diese Freiheit kann schön oder schrecklich sein - es bedeutet nicht viel.

Medizinmänner -die Kräuterheiler ebenso wie unsere Heiligen Männer-haben alle ihre eigene persönliche Art, nach ihren Einsichten zu handeln. Der Große Geist wünscht, daß Menschen verschieden sind. Er läßt jemanden ein bestimmtes Tier, einen Baum oder ein Kraut lieben. Er läßt Leute sich zu bestimmten Lieblingsplätzen auf dieser Erde hingezogen fühlen, wo sie ein bestimmtes Gefühl von Wohlbehagen empfinden und sich sagen: <Das ist ein Fleck, der mich glücklich macht, wohin ich gehöre.> Der Große Geist ist Einer, jedoch auch Vieles. Er ist Teil der Sonne, und die Sonne ist Teil von ihm. Er kann in einem Donnervogel sein oder in einem Tier oder einer Pflanze.

Ein menschliches Wesen ist auch Vieles. Woraus immer auch die Luft, die Erde, die Kräuter, die Steine bestehen mögen, es ist auch Teil unseres Körpers. Wir müssen lernen, verschieden zu sein, die vielfältigen Dinge, die wir sind, fühlen und empfinden zu können. Die Tiere und Pflanzen werden von Wacan Tanka, dem Großem Geist, gelehrt, was sie zu tun haben. Sie sind nicht einander gleich. Vögel sind voneinander verschieden, manche hauen Nester, manche nicht. Manche Tiere leben im Löchern, andere in Höhlen, andere in Büschen. Manche haben überhaupt kein Heim.

Selbst Tiere der gleichen Art - zwei Rehe, zwei Eulen - unterscheiden sich in ihrem Verhalten voneinander... Ich habe viele Pflanzen studiert. Die Blätter einer Pflanze, am selben Stengel: Keines davon ist exakt wie das andere. Auf der ganzem Erde gibt es nicht ein Blatt, das exakt einem anderen gleicht. Der Große Geist mag es so. Er zeichnet nur grob den Lebensweg für alle Kreaturen auf der Erde vor, zeigt ihnen, wohin sie zu gehen haben, aber er überläßt es ihnen, ihren eigenen Weg zu finden, um dorthin zu gelangen. Er möchte, daß sie gemäß ihrer Natur unabhängig handeln, so wie es ihr innerer Antrieb vorsieht.

Wenn Wacan Tanka den Pflanzen, Tieren, selbst kleinen Mäusen und Käfern, dies gebietet, wie sehr mag er Menschen verabscheuen, die einander ähnlich sind, dieselben Dinge tun, zur selben Zeit aufstehen, dieselbe Art von Konfektionskleidung anziehen, in derselben U-Bahn fahren, im gleichen Büro dieselbe Arbeit verrichten, ihre Augen auf dieselbe Uhr gerichtet, und die, am schlimmsten von allem, allzeit dasselbe denken. Alle Kreaturen erfüllen mit ihrer Existenz einen Zweck. Selbst eine Ameise kennt diesen Zweck -nicht mit ihrem Verstand, aber irgendwie weiß sie darum. Nur menschliche Wesen sind an einem Punkt angelangt, wo sie nicht länger mehr wissen, warum sie existieren. Sie gebrauchen ihren Verstand nicht mehr, und sie haben das geheime Wissen ihres Körpers vergessen, ihre Sinne oder ihre Träume. Sie machen vom Wissen, das der Große Geist in jeden einzelnen von ihnen gelegt hat, keinen Gebrauch mehr; sie sind sich dessen nicht einmal mehr gewärtig, und so stolpern sie blindlings über den Weg ins Nichts - eine gepflasterte Straße, die sie sich selbst baggern und glätten, so daß sie sich dem großen leeren Loch, das sie an ihrem Ende finden und das sie verschlingen wird, umso schneller nähern können. Es ist eine schnelle, bequeme Superautobahn, aber ich weiß, wohin sie führt, ich bin in meinen Visionen dort gewesen, und daran zu denken, macht mich schaudern.»

Von Visionen ist bei «Medizinmännern» - vor allem bei denen der Prärieindianer - häufig die Rede. Die Interpretationen zeitgenössischer Berichterstatter hierüber gehen weit auseinander. Manche halten sie für puren Schwindel von selbsternannten Magiern, die dem Zweck dienen sollten, naive Gemüter zu beeinflussen. Andere verstehen sie ah Traumerlebnisse oder durch Drogen herbeigeführte Trancezustände. Jener Entrückungszustand, den man «Gesicht» nennt, entspricht nicht dieser indianischen Vision. Auch medizinische Erklärungen, die auf Halluzinationen, hervorgerufen durch starke Hunger- und Durstzustände, hinweisen, bieten nur oberflächliche Anhaltspunkte für das, was man unter «Vision» verstehen könnte.

Vage Mitteilungen alten wie auch neueren Datums deuten darauf hin, daß indianische Heiler sowohl in der Lage sind, durch eine besondere Empfänglichkeit Schwingungen von Menschen, Tieren, Pflanzen und Mineralien zu erspüren, als auch die Fähigkeit besitzen, sich an weit entfernte Orte in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zu versetzen und dortige Geschehnisse deutlich wahrzunehmen. Das wurde bis vor kurzem als schamanistische Scharlatanerie abgetan. Es gibt aber Berichte über unerklärliche materielle Beeinflussungen, etwa daß Schamanen Gegenstände in Bewegung bringen, ohne sie zu berühren, daß Metallstangen verbogen oder zwischen zwei weit voneinander entfernten «Medizinmännern» Gedanken ausgetauscht wurden. Der Heiler Rolling Thunder bestätigte diese Fähigkeiten, die man unter den Begriffen Telepathie und Psychokinese schon lange kennt, aber erst seit wenigen Jahren ernster zu nehmen beginnt. Wissenschaftler mühen sich ab, solche Phänomene mit dem Wirken elektromagnetischer Impulse zu erklären. Doch zeigten ausgedehnte, in den Jahren 1966 bis 1963 von Leonid Wassiliew in der Sowjetunion durchgeführte Versuche, solche «Bio-Informationen» zwischen zwei telepathisch begabten Medien durch Faradaysche Käfige (Abschirmungen aus Eisen-Blei-Verbundsystemen) zu unterbrechen, daß eine derartige Abschirmung nicht wirksam ist. Der Physiker John Taylor von der Universität London kam 1978 zu ähnlichen Ergebnissen. In zahlreichen Versuchsreihen tastete er mit Meßgeräten alle in Frage kommenden Bereiche des elektromagnetischen Spektrums ab. Es gab keinen Hinweis auf elektromagnetische Wellen. Taylor untersuchte auch andere mögliche Psychokinese-Auslöser gravitativer, nuklearer und radioaktiver Art, ohne das Phänomen erklären zu können. Die Ergebnisse der Taylorschen Untersuchungen wurden am 2.Novemher 1978 im britischen Wissenschaftsjournal Nature veröffentlicht. In seinem Buch "Superminds" dokumentiert Taylor nicht nur Fälle von Levitation (physikalisch unerklärhares freies Schweben von Personen oder Objekten -ein Phänomen, das auch indianische Heiler über Jahrhunderte hinweg immer wieder erwähnen), sondern er bestätigt auch ausdrücklich den sogenannten «Geller-Effekt» (Uri Geller verbog metallene Gegenstände, wie Löffel oder Gabeln, ohne diese zu berühren, brachte stehengebliebene Uhrwerke wieder zum Laufen etc.): «Wir fanden während der Biegeprozesse», so Taylor, «keine konkreten Anhaltspunkte für Wirkungen elektromagnetischer oder ionisierender Strahlung. Auch gab es bei den Proben keinerlei Anzeichen dafür, daß Temperaturerhöhungen oder Stromdurchgänge stattgefunden hätten. So kann mit absoluter Sicherheit gesagt werden: Der Geller-Effekt existiert tatsächlich, und er tritt auch auf Distanz in Erscheinung!»

Trapper, Mountain Men und Waldläufer des 13. und 19.jahrhunderts haben immer wieder von indianischen «Medizinmännern» berichtet, die erstaunliche telepathische Leistungen vollbrachten, die frei zu schweben begannen, die Erkrankte in einen Zustand versetzten, in dem man heute unschwer eine Art Tiefenhypnose zu erkennen vermag, oder die Eisenstangen verbogen, ohne sie zu berühren. Hinter solchen Phänomenen vermuten die meisten Menschen bis heute Gauklertricks - und niemand kann ihnen das verdenken angesichts des Mangels an authentischer Information.

Erst seit 1971 haben indianische Heiler ihre bis dahin vollständige Zurückhaltung aufgegeben. Zum 15. April dieses Jahres hatte die Menninger Foundation zur ersten internationalen Tagung über einen neuen Wissenschaftszweig, die Bewußtseinsforschung, in das White Memorial Camp in Council Groves, Kansas, eingeladen. Die Teilnehmer kamen aus Island, Japan, Westdeutschland, Kanada und allen Teilen der USA. Zum erstenmal sprach als Referent ein «Medizinmann» der Cherokee Rolling Thunder, über «die Selbstkontrolle seelischer Zustände». So interessant erschien Rolling Thunders Referat, so neu, sensationell, aber gleichzeitig auch einleuchtend waren seine Darstellungen und so unfaßbar war die anschließende Demonstration einer - von Medizinern für unmöglich gehaltenen - Heilung eines schwer erkrankten Sportlers (den Rolling Thunder zuvor nie gesehen hatte!), daß die Menninger Foundation anschließend ihr Mitglied Doug Boyd als Leiter eines Forschungsteams beauftragte, die Methoden des Indianerheilers einer «Untersuchung des selbständigen Kontrollvermögens psychischer und physischer Zustände» zu unterziehen.

Rolling Thunder gestattete dem Team der Menninger Foundation, seine Arbeit vom Juli 1971 bis zum Mai 1972 in einem «voluntary controls project» (freiwilliges Kontrollprojekt) zu untersuchen. Im Anschluß hieran wurde Rolling Thunder von der Association for Humanistic Psychology eingeladen, als Redner an einer Konferenz über psychologische Heilverfahren und Selbstheilung teilzunehmen, die am 6. Mai 1972 an der Berkely University in Kalifornien stattfand.

Doug Boyd faßte die gesamten Aussagen des Indianerheilers und seine persönlichen Kontrollerfahrungen in einem Bericht zusammen, der 1974 in den USA veröffentlicht wurde und 1981 in deutscher Übersetzung erschien. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit bestätigten, daß der Indianer über erstaunliche Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt, die zum einen Teil wissenschaftlich begründet erscheinen, zum anderen Teil noch unerklärlich sind.

Zu Beginn des Projekts teilte Boyd als orthodoxer Wissenschaftler noch die Skepsis seiner Kollegen. Nach Abschluß der Untersuchungen betrachtete er sich als «Bewunderer und Schüler» des Indianerheilers, der ihm «weit mehr als nur wissenschaftliche Erklärungen mit auf den Weg» gegeben hatte.

Auch zahlreiche andere, neuen Erkenntnismöglichkeiten aufgeschlossene Wissenschaftler kamen inzwischen zu ähnlichen Ergebnissen. Keiner von ihnen glaubt, daß indianische Medizin und Pflanzenheilkunde die herkömmliche Medizin mit ihrer technischen Potenz ersetzen könnte, aber sie alle sind mehr oder weniger der Oberzeugung, daß man indianischen Erkenntnissen und Fähigkeiten große Aufmerksamkeit widmen sollte. Die moderne Apparatemedizin hat, darüber sind sich diese Wissenschaftler einig, eine verhängnisvolle Richtung eingeschlagen. Sie sind davon überzeugt, daß indianische Heiler entscheidende Impulse für eine Besinnung, für neue Wege, eventuell sogar für eine Kehrtwendung vermitteln können.

Indianische Heiler sind der gleichen Meinung: «Wir Indianer müssen auf unsere Art arbeiten, und ihr müßt eure Aufgaben, worin auch immer sie bestehen, auf eure Weise angehen. Wir werden euch nicht sagen, was ihr tun sollt, denn wir mögen es selbst nicht, wenn man uns sagt, was wir zu tun haben. Ihr erhebt schließlich nicht den Anspruch darauf, alle Dinge dieser Welt zu wissen - über Medizin oder was auch immer. Und nicht alles Wissen kann in Bücher gepackt werden. Das universelle Wissen schließt nämlich die ganze Natur, alles Leben in sich ein, und davon gibt es zuviel, als daß man es in Büchern unterbringen könnte. Ich sage, daß wir Indianer genauso wie andere Menschen einiges Wissen haben, und das ist genau der Grund, warum wir unser Wissen teilen sollten. Es würde uns eine Menge weiterhelfen, wenn wir teilen könnten... Wir Indianer sind die Hüter des Landes. Wo immer ihr auch hingeht in diesem Land - falls es dort noch Indianer gibt, falls noch welche überlebt haben, werden unter ihnen immer welche sein, die das Gesetz des Lebens, der Erde und der Winde noch kennen. Das ist unsere Aufgabe, genauso wie andere zu anderen Dingen ermächtigt sind. Wir sollten zusammenarbeiten, um das Leben für uns alle lebenswert zu gestalten... Eure Vorfahren sind keineswegs hier auf einen Haufen Wilder gestoßen. Eure Verfassung habt ihr von der Verfassung der Irokesen übernommen, viele eurer besten Mittel habt ihr von uns: Terpentin, Chinin, Kampfer, Kokain, Curare, die Pille und sogar das Penizillin, das wir aus vermoderten Eichenstämmen gewonnen haben und schon lange vor euch kannten. Vieles von unserem Wissen mußten wir geheimhalten und verbergen. Vieles davon ist sogar in Büchern festgehalten; aber diese Dinge sollten jetzt (noch) nicht preisgegeben werden. Wir wollen nicht in Schwierigkeiten geraten. Wir suchen nicht den Wettbewerb und glauben nicht daran. Wir fließen im Strom der Natur, und der Geist zeigt uns den Weg - der Geist der Brüderlichkeit und Gemeinsamkeit.

Wir alle durchwandern viele Leben. Wir haben viele Leben, und manchmal sind wir in der Lage, diese verschiedenen Leben zusammenzubringen. Wir wandern von einem Leben in das nächste, und es gibt daher keinen Grund, vor dem Tod Angst zu haben. Es gibt keinen Tod, nur ein Wechseln der Welten. Diejenigen, die sich mit psychischen Heilmethoden und anderen psychischen Phänomenen auseinandersetzen, würden zweifellos brauchbare Hypothesen begrüßen - aber sie haben wahrscheinlich nicht erwartet, von einem amerikanischen Indianer etwas über Wiedergeburt zu hören. Und doch war dies eine grundlegende Vorstellung oder Lebenseinstellung, die fast alle Kulturen geteilt haben. <Heide> heißt im Altgriechischen rein, und <primitiv> heißt erster. Das sind keine negativen Begriffe. Sie bedeuten weder barbarisch noch unwissend... Die Medizinkraft stirbt nicht aus. Im Gegenteil, sie lebt in vielen unserer jungen Leute wieder auf. Vor Jahren wurde gesagt, daß es eines Tages keine Heilkundigen mehr geben würde, aber uns hat das nicht getäuscht, wir wußten, daß wir nicht aussterben würden. Wir wußten, daß diese Kraft eines Tages, fast über Nacht, zurückkehren würde. Jetzt ist die Zeit gekommen, die Kraft fließt in starken Strömen zurück.»

Indianische Heiler, ihre Fähigkeiten, Kenntnisse und Methoden sind verschiedentlich von Wissenschaftlern interpretiert worden. Die meisten Indianer erklärten danach, daß solche Deutungsversuche den Kern weit verfehlten. Deshalb will ich hier auf sie verzichten und die Ansichten indianischer Heiler wörtlich zitieren. Mag jeder diese Informationen auf seine Weise interpretieren.

Doug Boyd und seine Forschergruppe erleben beim Kräutersammeln, daß sie alle in einem Sumpf von Moskitos «jämmerlich zerstochen» werden, der Medizinmann Rolling Thunder jedoch völlig unbehelligt bleibt. Rolling Thunders Erklärung hierfür lautet: «Es gibt eine bestimmte Grundeinstellung, die man sich selbst gegenüber bewahren kann. Moskitos werden dich nicht belästigen, werden dich nicht einmal berühren, wenn du fähig bist, deine gute Grundstimmung beizubehalten. Solche Stimmungen erzeugen bestimmte Schwingungen und Körpergerüche, die die Moskitos fernhalten können. Du kannst einen Eigengeruch erzeugen, den sie beim besten Willen nicht ertragen können. Ein Grund, warum sie dir Gift einspritzen, ist, dich nervös zu machen, damit auch die anderen dich riechen können. Wenn das Gift wirkt, fühlst du dich gereizt, aber wenn du dich nicht reizen läßt wirken auch diese Gifte nicht. Wenn du auch gestochen wirst, mußt du noch lange nicht am ganzen Körper aufschwellen. Du kannst deine ganze Situation durch den Geruch, den du erzeugst, unter Kontrolle halten. Diese Art von Steuerung ist keine einfache Sache, aber sie ist auch nichts Unmögliches, weil du es ja selbst in die Hand nehmen kannst. Es wird alles von deinem Inneren aus gelenkt.» Wer dazu nicht in der Lage ist, dem rät der Medizinmann: «[Du kannst auch] einfach Essig nehmen. Damit kannst du einen Anfang machen. Essig erzeugt einen bestimmten Geruch, den die Moskitos auch nicht so gern haben. Sie werden dir nicht mehr so schlimm zusetzen. Nimm ihn bei jeder Mahlzeit und auch beim Baden, ein paar Eßlöffel in jedes Bad.»

Die Forschergruppe sammelt mit Rolling Thunder bestimmte Blätter einer Heilpflanze. Diese Pflanzen sind über und über mit Ameisen bedeckt, die das Blättersammeln sehr erschweren. Der Medizinmann scheint sich daraufhin offensichtlich mit den Ameisen zu verständigen:

«Ich beobachtete Rolling Thunder und sah, daß er lediglich mit dem Finger über die Blätter fuhr, als würde er die Ameisen zusammentreiben und sie huschten tatsächlich davon. Das wiederholte sich. Jedesmal, wenn er einem Blatt zuwinkte, verließen es die Ameisen scharenweise. Ich sah, wie er mit dem Finger einen Stiel hinunterdeutete und eine Kolonne Ameisen in die angezeigte Richtung davonmarschierte, genauso, als sei sein Finger ein Magnet und die Ameisen kleine Eisenpartikeln.»

Wenig später stößt die Gruppe auf eine große Klapperschlange. Alle bleiben wie angewurzelt stehen. Boyd berichtet; «Rolling Thunder beugte sich zum Kopf der Schlange hinunter und streckte seine Hand aus. Die Schlange wand sich und richtete ihren Kopf auf, um der Hand zu begegnen. Seine Hand und die Augen der Schlange waren kaum einen Zentimeter voneinander entfernt. Beide fingen an, sich zu bewegen. Wenn die Hand nach vorne ging, ging der Kopf zurück. Zog sich die Hand zurück, folgte ihr der Kopf. Rolling Thunder bewegte seinen Kopf hin und her, und die Klapper der Schlange rasselte. Nun streckte er beide Hände aus, und die Schlange schwang langsam zwischen ihnen hin und her, zuerst auf die eine Seite, dann auf die andere. Rolling Thunder und die Schlange befanden sich einander in Augenhöhe gegenüber. Das ganze war eine Art Tanz. Rolling Thunder hielt inne, und die Schlange wurde ruhig, absolut bewegungslos.»

Aus Äußerungen von Medizinmännern geht immer wieder hervor, daß sie die Erde und alles Leben auf ihr als einen Organismus betrachten, einen Körper, der aus einem Wesen erwächst. Sie fühlen sich eins, in einem einheitlichen Sein mit dem Wald, den Pflanzen und Tieren und Steinen und Landschaften. In dieses Sein sind auch die destruktiven Wirkungen von Technik, Industrie und Militär einbezogen - und die der Wissenschaften, die die theoretischen Voraussetzungen für die globale Zerstörung schaffen.

Indianer tun sich seit jeher sehr schwer zu verstehen, warum etwa Psychiater nicht in der Lage zu sein scheinen, den Zusammenhang zwischen der Ursache geistiger Erkrankungen und der gigantischen Aggression zu sehen, die der Natur und allen ihren Wesen angetan wird, einschließlich Umweltverschmutzung, Zerstörung der Wälder und Landschaften. Jeder traditionelle Indianer hat auch heute noch ein feinsinniges Gefühl für diese Zusammenhänge, ist imstande, solche Wechselwirkungen von Mensch und Natur zu verstehen.

Doug Boyds Forschungsteam hat sich intensiv mit der Frage befaßt, wie Rolling Thunders Heilkraft funktioniert. Ist es wirklich eine Kraft, oder handelt es sich um Macht? Ist es vielleicht nur ein Plazebo-Effekt, der wirksam ist? Oder hängen diese Phänomene mit Hypnose zusammen? Der Indianerheiler versuchte, eine wissenschaftlich begreifbare Erklärung zu geben:

«Der menschliche Körper teilt sich in zwei Hälften, plus und minus. Alles, was in sich eine Einheit bildet, setzt sich aus zwei gegensätzlichen Hälften zusammen. Jeder Energiekörper besteht aus zwei Polen, einem positiven und einem negativen. Wir können diese Energie lenken, genauso wie wir unseren physischen Körper unter Kontrolle halten können. Indem wir diese Energie bewußt leiten, produzieren wir Kräfte. Wir können auch lernen, diese Kräfte zu lenken -auf die richtige Art und Weise, am richtigen Ort und zur richtigen Zeit... Diese Hände sind mit den Polen verbunden, eine Seite minus und eine Seite plus. Die physikalischen Gesetze der Elektrizität sind überall gültig. Sie ist in sich bereits eine Art spirituelle Kraft. Darum können wir in gewisser Weise behaupten, daß wir mit elektrischer Energie arbeiten. Ihr habt gesehen, wie ich auf meine Handflächen spucke, sie hochhebe und dann zusammenklatsche. Zumindest schaut es für euch so aus. Das erfüllt einen ganz speziellen Zweck. In diesem Moment könnte ich jemandem die Hand auflegen und ihm damit einen gefährliche Schlag verpassen, und zwar nicht nur im physischen Bereich. Es sind immer dieselben Grundregeln, dieselben Techniken an der Arbeit, aber sie können für gute und schlechte Zwecke eingesetzt werden. Aus diesem Grunde gibt es eine gute und eine schlechte Medizinkraft. Die Vorstellung, die ich bei vielen modernen Menschen entdeckt habe, daß es weder Gut noch Böse gibt, daß alles gleich ist, ist ein völliger Blödsinn. Ich weiß zwar, was sie damit sagen wollen, aber sie verstehen es nicht. Da, wo wir hier im Leben stehen, gibt es Gut und Böse, und sie sollten das lieber erkennen.

Solange so viele Menschen den modernen Wettbewerb, den Willen, auf Kosten anderer Profit zu machen, akzeptieren und noch glauben, daß es etwas durchaus Gutes ist; solange wir weiterhin andere Menschen und anderes Leben ausbeuten, die Natur mit eigensüchtigen, unnatürlichen Mitteln benutzen; solange wir zulassen, daß sich in diesen Bergen Jäger mit Whiskey vollaufen lassen und zu ihrer bloßen Unterhaltung fremdes Leben zerstören solange sind spirituelle Techniken und Kräfte potentiell gefährlich. Eines der wichtigsten Grundprinzipien ist, daß anderen nicht geschadet werden darf, und dieses Prinzip schließt alle Menschen, alles Leben und alle Dinge dieser Welt mit ein. Es besagt, daß man weder andere kontrollieren noch manipulieren darf, daß man nicht versuchen sollte, fremde Angelegenheiten in die eigene Hand zu nehmen. Es besagt, kein Wesen hat das Recht, einem anderen Wesen Schaden zuzufügen oder es zu beherrschen. Jedes Lebewesen hat das Recht, sein eigenes Leben nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten. Jedes Wesen hat seine eigene Identität und Bestimmung. Um dieser Bestimmung gerecht zu werden, hat jedes Wesen die Kraft der Selbstkontrolle, und genau da setzt spirituelle Kraft ein. Wenn einige dieser grundlegenden Dinge erkannt werden, wird die Zeit reif sein, um noch mehr zu offenbaren.»

Diesen «Grundprinzipien» folgen nordamerikanische Indianer nahezu einheitlich, jedenfalls soweit man dies an Hand entsprechender Berichte über ihre naturreligiösen Riten, Zeremonien, Gebete und Symbole zurückverfolgen kann. So wurden vor jeder Jagd beschwörende Zeremonien, inbrünstige Gebete abgehalten, bei denen man die potentiellen Opfer der Jagd, die Beutetiere, im voraus um Verzeihung bat und ihnen erklärte, warum die Jagd und ihr Tod nötig für das Überleben der Menschen seien. Man versprach, nur Tiere zu töten, deren Verlust andere Tiere, etwa Nachwuchs oder schutzlose Rudel, nicht gefährden würde. Ebenso verfahren seit alters her indianische Kräutersammler. Kräutersiedlungen, die klein oder geschwächt erscheinen, werden unberührt gelassen. Bei anderen Kräutersiedlungen wird zuerst stillschweigend mit dem «Häuptling» Zwiesprache gehalten, es wird ihm der Grund erklärt, der den Gebrauch des Krauts notwendig und sinnvoll macht. Man empfängt vom «Häuptling» sogar Anweisungen, welche Blätter von welchen Pflanzen genommen werden dürfen. Zum Zeichen der brüderlichen Verbundenheit wird zuvor der Kräutersiedlung eine Opfergabe dargebracht, zumeist etwas Tabak, notfalls eine kleine Münze, aber immer etwas, das für den Sammler einen Wert darstellt. Beim Sammeln wird sehr vorsichtig darauf geachtet, bestimmten Pflanzen nur bestimmte wenige Blätter zu nehmen, so daß sie weiter leben und gedeihen kann und nicht geschädigt wird. Ebenso verhält es sich, wenn Samen oder Wurzeln, Rinde oder Äste benötigt werden. Ähnliche Rituale finden vor dem Sammeln von Steinen oder Erde statt, ebenso bei der Ernte von Eßpflanzen, Gemüse, Getreide, Beeren oder Wurzeln. Die Indianer haben einen Blick, ein inneres Verständnis für die Familien- und Sippenbildung solcher Pflanzenkulturen, erkennen in ihnen die «Häuptlinge», die «Ahnmütter» von Familien, Sippen und Klans und lassen diese, in einem kleinen Kreis vertrauter Anverwandter, bei der Ernte unangetastet. Diese übriggelassenen Inseln auf indianischen Feldern und Plantagen, unberührte Fruchtsträucher und Bäume riefen bei Weißen verständnisloses Kopfschütteln hervor. Man hat den Zusammenhang mit wesentlichen indianischen Grundprinzipien nie verstanden noch verstehen wollen. Das innere Verständnis für diese Unversehrbarkeit aller Lebewesen wurde Indianern schon als Kleinkindern auf das sorgsamste und einfühlsamste beigebracht, was dazu führte, daß diese Auffassung zum selbstverständlichen Bestandteil ihrer gesamten Geisteshaltung wurde.

Die Behauptung der Indianer, daß Pflanzen eine Seele, daß sie Gefühle haben und auch äußern, ist noch bis vor kurzer Zeit mitleidig belächelt worden. Durch ausgedehnte wissenschaftliche Versuche konnte aber inzwischen bewiesen werden, daß Pflanzen reagieren wie Menschen, daß sie Gefühle und ein Erinnerungsvermögen haben, optische und akustische Eindrücke wahrnehmen und zwischen Harmonie und Disharmonie, Bedrohung und Freundschaft sehr wohl zu unterscheiden vermögen. Die Wissenschaftler, die solche Reaktionen Biosignale nennen und nun Pflanzen als beseelte Lebewesen betrachten, denken schon darüber nach, wie sie -in altbewährter technizistischer Manier -der Menschheit aus solchen Erkenntnissen «atemberaubende Perspektiven» eröffnen können. Es steigen in ihnen Visionen von extremer Kälte- und Hitzebeständigkeit hoch, von größeren Früchten mit kleineren oder gar keinen Samenkernen, von immensen Wachstumssteigerungen, von abenteuerlichen hybriden Züchtungen und so fort.

Indianische Heiler schaudern ob solcher Gedanken. Der Chippewa-Heiler Sun Bear warnt vor übereifriger Vereinnahmung auf allen Ebenen, insbesondere im Umgang mit Pflanzen:

«Etwas, wovor sich Leute im Umgang mit Kräutern hüten müssen, ist, nicht zu dogmatisch zu werden. Viele lernen etwas kennen und haben sofort das Gefühl, nun alle Antworten zu wissen. Sie haben vielleicht nur ein ganz kleines bißchen mitbekommen und verkünden das dann als den ganzen Kern des Wissens. Wenn heute jemand eine schwere Blutvergiftung oder Infektion erleidet und es besteht Todesgefahr, können wir ihm nicht erzählen, daß er sich mit Kräutern reinigen soll.

Man kann nicht dogmatisch sein. Man hat Verantwortung für sein Leben. Man hilft mit dem, was in diesem Augenblick als das beste Mittel verfügbar ist. Wenn wir Antibiotika benötigen, um ein Leben zu retten, so verwenden wir es. Aber es wird eine Zeit kommen, da viele Leute lernen müssen, selbst zu beurteilen, wie man verschiedenste Krankheiten zu behandeln hat. Anders werden sie nicht überleben können... Bei diesem Stand der Entwicklung muß man manchmal für die Krankheit des Weißen Mannes auch die Medizin des Weißen Mannes verwenden. Wir [Medizinmänner] akzeptieren das, aber wir versuchen, so gesund wie möglich zu bleiben. Ich glaube nicht, daß die Berufsmedizin für die Krankheiten der Zukunft viel Nützliches anzubieten haben wird. Das einzige, was die Menschen wird schützen können, ist eine Annäherung an das Land und die Ausgewogenheit mit den Naturkräften. Es gibt [überall] Kräuter innerhalb eines Umkreises von achtzig Kilometern gegen nahezu jede Erkrankung, die vorkommen kann. Wenn die Zeit kommt, daß man Kräuter nicht mehr über weite Entfernungen erhalten kann, wird es gut sein, jene zu kennen, die in der Umgebung wachsen. Manche Kräuter, die aus anderen Ländern kommen, sind geräuchert oder welchem Prozeß auch immer ausgesetzt worden. Das ist alles sehr fragwürdig. Man sollte sich an solche halten, die ganz natürlich behandelt wurden. Kräuter wirken sowohl auf unsere geistige als auch auf unsere körperliche Verfassung ein. In alten Zeiten gaben Medizinmänner nicht immer dasselbe Kraut für dieselbe Erkrankung, auch wenn es so aussah, als ob es sich um die gleichen Symptome handelte... Die meisten Leute werden sich darauf besinnen müssen, wirkliche Erfahrung zu sammeln und die Lehren zu beachten, wie ein Kraut tatsächlich wirkt. Sie müssen lernen, daß es nicht so schnell wie eine Chemikalie wirken kann. Sie müssen sich daran gewöhnen, daß Kräuter etwas länger brauchen. Wir verwenden Kräutertees für viele unserer Erkrankungen und Probleme... Je mehr Liebe man in die Kultivierung von Kräutern steckt, um so besser kommt man dabei weg. Man erhält eine bessere Gegengabe [von ihnen]. Ich glaube, viele beginnen nun allmählich zu verstehen, daß diese Veränderungen von Mutter Erde ausgehen werden. Zerstörung und Reinigung sind nötig, weil der Mensch aus der Harmonie mit den Naturkräften geraten ist. Aber wenn man in harmonische Ausgewogenheit zurückkehrt und Pflanzen wieder zu schätzen beginnt und sie in guter Art und Weise verwendet, dann werden sie euch auch wieder dienen. Jedes einzelne Teil des Universums ist Teil des Ganzen; wir sind alle Teil des Medizinkreises. »

Wabun, die Gefährtin des Chippewa-Heilers Sun Bear, eine ehemalige Life Magazine-Journalistin aus New York, die seit Jahren den indianischen Heiler genauestens beobachtet, umschreibt ihre Erfahrungen mit indianischen Heilern folgendermaßen:

«Die Erde ist eine wundervolle, geduldige Lehrerin. Wenn du dich ein kleines bißchen öffnest, ist sie bereit, dich alles, was du brauchst, zu lehren, selbst wenn du aus New York City kommst wie ich... Was ich vor allem gelernt habe, ist, niemals die Definition, was ein indianischer Heiler ist, einzugrenzen. Es ist nicht irgend jemand, der mit Kräutern arbeitet... Gewöhnlich geht man davon aus, daß Kräuterkundige so etwas wie medizinisch gebildete Leute einer bestimmten Art seien. In vergangenen Zeiten mochte ihre Arbeit alles das umfassen, was man heute Spezialisten zuschreibt, wie Internisten, Psychologen, Studienberatern oder Lehrern -sie konnten alle diese Funktionen zur gleichen Zeit ausfüllen.

Es gab unter den Eingeborenen viele Frauen, die Heiler waren, und ihre Ausbildung war die gleiche wie die für Männer. Man studierte bei einem Kräuterkundigen, erlernte, was er wußte, und man verband das Gelernte mit den eigenen Eindrücken. Die einzige Einschränkung, die für Frauen galt, war die Zeit der Monatsregel, der Menstruation. Das war nicht auf Furcht (etwa vor Unreinheit), sondern auf Verständnis begründet. Die Frauen verstanden die kraftvollen Veränderungen, denen sie während dieser Zeit unterworfen waren, und sie verstanden, daß diese Einflüsse sorgfältig geleitet werden mußten, damit sie Vorteile und nicht Nachteile für die Gemeinschaft brachten. Ich kann das aus eigener Erfahrung nur bestätigen. Anthropologische Informationen darüber gibt es kaum. Wenn Frauen nur versuchen, ihre Gefühle während der Menstruation nüchtern wahrzunehmen, dann werden sie feststellen, daß sie weniger konzentriert sind als zu anderen Zeiten. Wenn sie lernen oder wenn man sie lehrt, diese unkonzentrierte Energie zu lenken, so können sie großartige Dinge vollbringen. Aber es gibt nur sehr wenige Frauen, die sich mit ihrer eigenen Energie und Kraft genügend im Einklang befinden, um so etwas zu vollbringen oder andere Frauen lehren zu können, wie es anzustellen ist. Viele Kräuter, manchmal weibliche Kräuter genannt, haben mit Menstruation oder Schwangerschaft zu tun -sie werden nur von Frauen verwendet, nicht von Männern. Was die Geburtenkontrolle betrifft, so habe ich einige Heilkundige getroffen, die behaupten, dieses Wissen zu haben, aber sie alle sagen, daß es mißbraucht werden würde und daß sie es deshalb nicht weitergeben wollten...

Viele Leute, die sich mit Kräuterkunde befassen, tun das in derselben enzyklopädischen Art, mit der Menschen dieser Gesellschaft auch andere Dinge zu erfassen trachten. Sie lesen über ein Thema dreißig Bücher und bringen sich damit selbst durcheinander. Ich denke, wenn man kräuterkundig werden möchte, kommt man eher ans Ziel, wenn man sich von den Kräutern selbst belehren läßt.

Für die Eingeborenen gab es vier irdische Bereiche: Der erste ist der der Mineralien; sie können ohne die Hilfe irgendeines anderen Bereiches existieren. Der zweite ist der der Pflanzen; sie können mit der Hilfe der Mineralien existieren. Der dritte ist der der Tiere; sie brauchen die ersten beiden Bereiche, um leben zu können. Und wir Menschen stellen den vierten Bereich der Schöpfung dar und den am meisten abhängigen. Wir können ohne die Hilfe unserer Brüder und Schwestern aus den anderen drei Bereichen nicht existieren. Obwohl uns ein Einsichts- und Vorstellungsvermögen und die Kraft zur Erfüllung gegeben sind, sind wir andererseits schwächer als die Lebewesen der anderen drei Bereiche. Wenn du Kräuter sammeln gehst, sprich deshalb aus: Ich benötige dieses Kraut, um mit seiner Hilfe die Krankheit eines anderen zu heilen. Erkläre dem Kraut, warum du es pflückst und was du von ihm erwartest. Geh nicht hin und greife danach. Gib ihm Zeit, sich anzuhören, was du zu sagen hast, bevor du es pflückst. Versichere der Pflanze, daß auch du deinen Körper Mutter Erde zurückgeben wirst, so daß das Leben auf der Erde weitergehen kann und der Kreislauf geschlossen bleibt. So wie es sein Leben hergebe, so geben wir uns, unser Leben, unsere Energien zurück, damit andere leben können. Die Erde ist eine sehr geduldige Lehrerin, und eine der Lehren, die wir von ihr anzunehmen haben, ist die, geduldig zu sein. Man muß behutsam vorgehen, um die Regeln zu lernen, so daß man Lebewesen nicht beleidigt. Man muß lauschen und warten. Laßt die Dinge so auf euch zukommen, wie es ihre Art ist. Das ist vielleicht die beste Lektion für Leute, wenn sie von eingeborenen Heilern Kräuterheilkunde erlernen möchten: Geduldet euch, seid respektvoller.»

Man darf jene undefinierbaren Energien, die indianische Heiler Lebenskraft, Schwingungen, Vibrationen oder auch Elektrizität nennen mögen, nicht nach unserer technischen Nomenklatur wörtlich nehmen, sondern sollte sich im klaren darüber sein, daß Indianer unter sich sehr genau wissen, was gemeint ist, und sich der gebräuchlichen Terminologie nur zu bedienen bemühen, um uns diese Dinge zu verdeutlichen. In Wirklichkeit sind in unserem wissenschaftlichen.Ausdrucksregister die passenden Begriffe für das, was Indianer meinen, noch gar nicht enthalten, weil wir das, was ihnen wohlbekannt zu sein scheint, einfach noch nicht kennen, noch nicht einordnen können.

Nach Meinung des Medizinmannes Semu Huaute ist die Tatsache, daß Wissenschaftler so gern die Fähigkeiten der Indianer mit dem Begriff «übernatürlich» -gleichbedeutend mit Unsinn -abtun, bezeichnend für die außerordentliche Ignoranz solcher Leute. So beobachten Indianer etwa Vögel, weil ihr Verhalten einem Kenner sehr viel Aufschluß zu geben vermag, etwa über den Grad der Luftverschmutzung, den Zustand von Menschen, den Pegel von Angst, Feindseligkeit und Depression einer Gegend, ja sogar aber den Zustand des Bodens des gesamten Gebiets oder über das Herannahen eines Erdbebens oder einer Flutwelle, über Veränderungen des Klimas, bevorstehende Hitze- oder Kälteeinbrüche. Auch das Aussehen von Pflanzen, ihre Hin- oder Ab-neigungen gegenüber Bodenwinden, ihre Art der Gruppenbildung oder ihre gestörte Ausbreitung, die auf eine depressive Samenrückbildung schließen läßt, auf Verzweiflung oder gar Resignation; der Zustand der Erdkruste, der von Kleinstlebewesen bestimmt wird, die bei gestörter Harmonie oder gar existentieller Bedrohung in ganz bestimmter Weise reagieren, indem sie sich zurückziehen; die Art von Wolkenbildungen, die sich stets charakteristisch der Bodenform anpaßt, aber bei Störungen ganz anders reagiert - alle diese Phänomene sind, so der Heiler, aufmerksamen Kennern nicht nur optisch oder akustisch, sondern auch in ihrer spirituellen Ausstrahlung bekannt und exakt deutbar.

Anstatt eine solche Fähigkeit als wirkliche Wissenschaft anzuerkennen, als eine Analyse auf Grund eingehendster und genauester Beobachtungen, gekoppelt mit in unzähligen Jahren gespeicherten Erfahrungswerten, würden bürgerliche Weiße dies ironisch als «übernatürlich» bezeichnen und verwerfen. Die wahre Ironie läge -so der «ungebildete Indianer» - doch wohl eindeutig darin, daß ausgerechnet jene, die in kürzester Zeit das natürliche Gleichgewicht der Erde zerstört hätten, einen Begriff wie «übernatürlich» verwenden, um damit viele der grundlegenden Naturphänomene, die sie lieber ignorieren, abzutun. Die Indianer wären die Menschen, die am natürlichsten sind, und die übernatürlichsten Menschen suche man am besten unter den bürgerlichen weißen Technologen, die, was die Natur betreffe, so elend wenig wüßten und doch so viel manipulierten.

Der Sioux-Heiler Lame Deer wundert sich, daß Weiße seit jeher die Symbolik, mit der indianisches Leben so reich angefüllt ist, so gründlich mißverstehen:

«Von der Geburt bis zum Tod sind wir Indianer in Symbole eingebunden wie in eine Decke. Die Tragwiege eines Säuglings ist mit Zeichen bedeckt, die dem Kind ein glückliches, gesundes Leben gewährleisten sollen. Die Mokassins der Toten haben Sohlen, deren Perlen in ganz besonderer Art angeordnet sind, um ihnen ihre Reise zu erleichtern. Aus ähnlichen Gründen haben die meisten von uns Tätowierungen an unseren Handgelenken - nicht wie die Tätowierungen eurer Seeleute, Dolche, Herzen oder nackte Mädchen, sondern nur ein Name, ein paar Buchstaben oder Zeichen. Die Eulenfrau, die den Weg zu den Geistorten bewacht, achtet auf diese Tätowierungen und läßt uns passieren. Sie sind wie ein Paß... Jeden Tag meines Lebens sehe ich in der Form bestimmter Wurzeln oder Äste Symbole. Ich lese aus Steinen Mitteilungen. Ich widme ihnen besondere Aufmerksamkeit, weil ich ein Yuwipi-Mann bin und dies meine Sache ist. Aber ich bin nicht der einzige. Viele Indianer tun das... Nichts ist so klein und unwichtig, daß es nicht eine Seele besäße. Die Götter sind voneinander getrennte Wesen, aber sie alle vereinigen sich in Waca Tanka, dem Großen Geist. Es ist schwer verständlich - etwas wie die Heilige Dreifaltigkeit. Man kann es nicht erklären, ohne zum «Kreisen innerhalb von Kreisen»-Phänomen zurückzukehren, zum Geist, der sich selbst in Steine, Bäume, winzige Insekten aufteilt und diese durch seine Allgegenwart heiligt. Und umgekehrt sind da alle diese Myriaden von Dingen, die das Universum ausmachen und zu ihrem Ursprung zurückkehren, vereinigt in dem einen Großvater Geist.»

Lame Deer und andere Indianerphilosophen weisen daraufhin, daß ja auch der alltägliche Erfahrungsraum der Amerikaner und Europäer mit Symbolen nur so «gepflastert» sei: was denn das Christenkreuz, die Bekreuzigung mit der Hand, die anderen religiösen Symbole anderes waren, oder der Äskulapstab mit der Schlange für die Mediziner und Apotheker, oder die ungezählten Universitäts-, Schul- und spezifischen Firmenzeichen, oder die Vielzahl der Verkehrszeichen und Hinweisschilder. Alle diese Symbole riefen bestimmte und beabsichtigte Assoziationen hervor, seien Zeichen der Zugehörigkeit, gäben etwa im Straßenverkehr Hinweise, die es erlaubten, gefahrlos daran teilzunehmen, sich einzuordnen, eine Richtung und ein Ziel zu finden. Die Indianer meinen, daß sich ihre Symbole von denen der anderen Menschen lediglich darin unterschieden, daß ihre Symbole stets geistiger und niemals materieller Art seien. Auch ihre Symbole wiesen Zugehörigkeit, vor allem aber naturreligiöse Bindungen aus -auch sie seien sozusagen Verkehrszeichen für die Bewegung des Menschen innerhalb der Natur, für sein demütiges Verhältnis zu allem Lebendigen, Mahnung, Erinnerung und Verpflichtung zugleich. Indianer verstehen nicht, daß etwa das IBM- oder ITT-Symbol oder Ku-Klux-Klan-Zeichen die selbstverständlichste Sache der Welt sein sollen, aber ihre der lebendigen Natur entnommenen Symbole als barbarische, heidnische oder primitive Fetischzeichen betrachtet werden - und das praktisch nur aus dem einen Grunde: weil man nichts davon verstehen könne oder wolle.

Die Behauptung verschiedener Indianerheiler, auch gewisse Steine (sogenannte heilige Steine, Heilsteine) übten eine Heilwirkung aus, besäßen eine spirituelle Kraft, die sich bei falscher Handhabung rasch erschöpfe, bei richtiger jedoch regeneriere, wurde von den Vertretern wissenschaftlicher Lehre stets als Hokuspokus abgetan. Allmählich erst beginnen Biochemiker zu ahnen, daß auch daran sehr viel mehr sein könnte als bislang angenommen. Man hat herausgefunden, daß ganz bestimmte Mineralien und Kristallgitterstrukturen äußerst feine und zahlreiche komplizierte «Bioinformationspotentiale» enthalten, daß etwa Titankristalle möglicherweise in naher Zukunft die gesamte Mikrochip-Technologie revolutionieren könnten, weil ihre Speicherkapazität ein Vielmillionenfaches der heute herstellbaren Chips betragen würde.

Es sind nur zwei Sorten kleiner Steine, die Indianerheiler für bestimmte Zwecke und nur unter bestimmten Umständen verwenden. Nach den Angaben der wissenschaftlich ungebildeten Indianer ist es sehr schwierig, diese Mineralien genau zu definieren. Es scheint sich um molybdän-, wolfram- und titanhaltige gewachsene Kristallstrukturen zu handeln. Im Augenblick sind metallurgische Untersuchungen im Gange, weil man unerklärbare, mit normalen technischen Mitteln nicht meß-, aber in der Beeinflussung von Tumorwachstum deutlich erfaßbare Wirkungen solcher Steine festgestellt hat. Die Erklärungen hierzu werden von beteiligten Wissenschaftlern sehr allgemein und zurückhaltend gegeben. Aber soviel läßt sich herauslesen: Diese bestimmten Mineralien scheinen, wenn sie in Berührung mit Tumoren gebracht werden, teilweise deren Wachstum aufzuhalten, während das Kristallwachstum der Mineralien gleichzeitig im mikroskopischen Meßbereich zunimmt. Es scheint auch umgekehrte Phänomene zu geben: Manche Kristallstrukturen schrumpfen, während gleichzeitig das Tumorwachstum beschleunigt wird.

Daß «Augen die Spiegel der Seele» seien, ist eine sehr alte Erkenntnis. Augendiagnostiker behaupten, an Veränderungen der Irissegmente Erkrankungen feststellen zu können. Orthodoxe Mediziner widersprechen dem heftig. Indianische Heiler messen dem Blick der Augen (von Mensch und Tier) große Bedeutung bei.

Man gewinnt aus den immer wieder kolportierten Äußerungen indianischer Heiler über die Bedeutung des menschlichen (und tierischen) Blicks den Eindruck, daß mit dieser «Kraft der Ausstrahlung» für entsprechend sensibilisierte Menschen Gefühlsinformationen verbunden sein können, die sehr weite Bereiche umfassen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß es alle nordamerikanischen Indianer bei Unterhaltungen, Besprechungen oder Verhandlungen sorgsam vermieden, einander in die Augen zu sehen. Sie schauten grundsätzlich aneinander vorbei. Sie empfanden offenbar den direkt auf die Augen des Gegenübers gerichteten Blick als verletzende Herausforderung, als den Versuch ungebührlicher Beeinflussung. Ein solches direktes Anschauen wurde nur zwischen Gegnern geduldet. Man war der Überzeugung, daß ein vernünftiger Gedankenaustausch nur dann stattfinden konnte, wenn jeder Partner unbeeinflußt seine zuvor durchdachten Meinungen oder die Botschaften, die zu übermitteln er beauftragt war, ruhig und überlegt artikulieren könne, daß jede Beeinflussung zu schädlichen Spontanreaktionen, zu Fehlern, Mißverständnissen und Scheinergebnissen führen würden, die für keine Seite positiv sein könnten.

Weiße Gesprächspartner haben diese durch und durch rücksichtsvolle Haltung stets falsch interpretiert. Daß «Indianer einem nie in die Augen sehen können», deuteten sie als Zeichen von Verschlagenheit, Hinterlist und Tücke, Unehrlichkeit und Ehrlosigkeit. Daß der «gerade und offene Blick» in die Augen eines Gegenübers den Weißen hingegen als Indiz für Offenherzigkeit und Redlichkeit galt, haben wiederum Indianer nie verstehen können; für sie war eine solche Gepflogenheit ein eklatanter Beweis für die mangelnde Selbst- und Menschenkenntnis der Weißen, ein Ausdruck einer unentwickelten seelischen Verfassung und einer barbarischen Aggressivität. Die Erfahrungen, die Indianer bisher im Umgang mit Weißen – und ihren «offenen Blicken» - machten, scheinen ihrer Beurteilung eher recht zu geben.

Die zahllosen Rituale und Zeremonien, in die indianisches Leben förmlich eingebettet war - hierzu gehören vor allem die vielen rituellen und zeremoniellen Tänze - und derer sich auch die Heiler ausgiebig bedienten, sind sowohl von den frühen europäischen als auch späteren amerikanischen Kommentatoren über Jahrhunderte hinweg in seltener Einmütigkeit als dämonische Infernalien betrachtet worden. Sowohl Schamanen- als auch Gruppen-Rituale und zeremonielle Massentänze (wie etwa der Sonnentanz, der Geistertanz oder der Winter-geist-Tanz), die bei Indianern von großer therapeutischer Wirkung waren, galten als Exzesse eines Blut- und Teufelskults. Die Abhaltung wurde durchgehend vom 16. bis weit ins 20.Jahrhundert hinein gesetzlich verboten und mit harschen strafgesetzlichen Sanktionen belegt. Noch bis 1951 wurde etwa in Kanada nach dem sogenannten «Potlatch-Gesetz» jede Person, die an solchen Tanzzeremonien teilnahm oder am den Vorbereitungen hierzu beteiligt war, mit Gefängnis zwischen zwei und sechs Monaten bestraft.

So hartnäckig sind derartige Vorurteile besonders bei Wissenschaftlern, daß anläßlich eines Todesfalles bei einem Geistertanz der Salish in British Columbia (der ganz andere Ursachen hatte) im Dezember 1972 eine Pressekampagne mit dem Ziel gestartet wurde, sämtliche derartige Rituale wieder strikt zu verbieten und Zuwiderhandlungen unter drakonische Strafandrohung zu stellen. Mediziner und Psychiater unterstützten diese Forderungen. Am 20. Februar 1973 veröffentlichte die Zeitung The Province ein Interview mit dem Sprecher der kanadischen Vereinigung forensischer Psychologen. Dort heißt es: «Die Gefahr solcher Zeremonien besteht darin, daß Aggression und Feindseligkeit von den Beteiligten leicht Besitz ergreifen können... das Ganze wird dämonisch und satanisch. Bis zum Zusammenbruch jeglicher Moral ist es nur ein kleiner Schritt. »

Während einer gerichtlichen Verhandlung am 21. Februar 1974 wurde ein Forscherteam der Fachbereiche Psychiatrie, Anthropologie und Soziologie der Universität von British Columbia (Kanada) zur medizinisch-therapeutischen Bedeutung dieses indianischen Heiltanzes gehört. Die Wissenschaftler hatten sich eingehend mit der Thematik beschäftigt und kamen zu folgendem Ergebnis:

«Dieses Zeremoniell, allgemein als Salish-Geistertanz bekannt, ist nach einer Periode kolonialer Unterdrückung wiederbelebt worden. Es zielt darauf ab, die jungen Leute von egozentrischem und asozialem Streben, von Alkohol und verbotenen Drogen - die für alle aktiven Tänzer tabu sind - abzulenken. Die Einführung in das Zeremoniell dient einer totalen Persönlichkeitsveränderung, einer Rückbesinnung der Teilnehmer auf die Idealnormen der traditionellen Salish-Kultur, deren moralische Maßstäbe - wie wir von den Berichten früher Völkerkundler wissen - denen der euro-amerikanischen Zivilisation weit überlegen waren. Wie alle anderen effektiven Methoden zur Reorientierung der Persönlichkeit beinhaltet diese einführende Behandlung hartes Training und Entbehrungen zusätzlich zu Belehrung und Ermahnung. Die Motivation des Teilnehmers wird in diesen Proben getestet, in deren Verlauf er eine stärkere und gesündere Persönlichkeit entwickelt. Ich stelle hiermit fest, daß unsere westliche Gesellschaft besser darauf vorbereitet wäre, der Herausforderung von Alkohol- und Drogenmißbrauch zu begegnen, wenn uns ähnliche, kulturell sanktionierte Methoden zur Verfügung stünden. Daß wirkungsvolle Behandlungsprozeduren nicht ganz ohne Risiken sind, wird den Psychiater, der Zuflucht zu Elektroschocks nimmt, um einem depressiven Patienten zu helfen, nicht überraschen... Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß viele indianische Patienten von einer Einbindung in diese einheimischen therapeutischen Aktivitäten mehr profitieren als von exklusivem Kontakt mit westlichen Methoden. Wir finden, man sollte das Beharren oder die Wiederbelebung einheimischer Heilungspraktiken als eine wichtige Stütze in der Gesamtgesundheitspflege für die indianische Bevölkerung betrachten, der westlicher medizinischer Sachverstand in dieser Region voll zur Verfügung steht.»

Eine Langzeitstudie, die die kanadische Forschergruppe an diese Initialuntersuchungen anschloß, führte zu einem überraschenden Ergebnis:

Veränderungen im westlichen Zeitgeist führten um 1970 zu einer sich unter den Indianern rasch verbreitenden Wiederbelebung der traditionellen Heilungszeremonien: Die Stämme im Nordwesten haben seither wieder den Geistertanz («Spirit Dance») eingeführt, die Stämme im Westen den Sonnentanz («Sun Dance»), im Südwesten ist es der Kürbistanz («Gourd Dance») und östlich der Rocky Mountains der Peyote-Kult, der sich von Mexiko bis tief nach Kanada hinein ausgebreitet hat. Der therapeutische Erfolg dieser wiederbelebten Zeremonien scheint nach allen verfügbaren Fakten überwältigend zu sein. So werden immer mehr dauerhafte Heilungen von Alkohol- und Drogensucht, von krankhafter Depression und Aggression und auch ein rapider Rückgang der Selbstmordraten unter den Teilnehmern beobachtet. Keine einzige der zahllosen modernen psychotherapeutischen Maßnahmen konnte je eine Heilungsquote von mehr als 98 Prozent vorweisen, wie sie von den kanadischen Forschern dokumentiert wurde. Die rituellen Praktiken indianischer Heiler sind, so die Wissenschaftler, als dauerhaft wirksame Therapien in selbst hoffnungslos erscheinenden Fällen rehabilitiert. «Fasten, Dürsten, Schmerzen und Entbehrung in Verbindung mit hochintensivem Trommeln in Frequenzen, von denen erwartet werden kann, daß sie im kortikalen Hörzentrum des menschlichen Gehirns beschleunigten Widerhall erzeugen», berichtet Wolfgang G. Jilek, ein Mitglied des kanadischen Forscherteams, «werden in diesen Zeremonien dazu verwendet, den Eintritt in einen veränderten Bewußtseinszustand zu erleichtern, der so eindringlich ist, daß er eine dauerhafte Persönlichkeitsveränderung herbeiführt.»

Auch dem Peyote-Kult (Peyote, Lophorora williamsii, ist ein kleiner, graugrüner Kaktus, der neben anderen Alkaloiden Meskalin enthält) haben Wissenschaftler bisher verderbliche, süchtig machende halluzinogene Wirkungen nachgesagt, weshalb - bis heute - jeder, der daran teilnimmt, mit drakonischen Strafen rechnen muß. Alle diese Vorurteile beruhten, so Jilek, hauptsächlich auf «der negativen Einstellung von Erziehern, Gesetzgebern, Wissenschaftlern und Gesetzesvollstreckern und der Feindseligkeit der Kirchen», die sich Meinungen über Dinge bildeten, von denen sie nichts Konkretes wüßten.

Wissenschaftler, die diesen Komplex sehr gründlich untersuchten, fanden dagegen heraus, daß der Anspruch der Indianerheiler, der Peyote-Kult sei seiner tatsächlichen Bestimmung nach eine therapeutische Bewegung, zu Recht bestehe. Bereits 1971 veröffentlichte das American Journal of Psychiatry unter dem Titel «Peyote-Gebrauch bei den Navaho: Offensichtlich unbedenklich» eine Arbeit von Robert L. Bergman, in der unter anderem auch der bekannte Psychologe und Halluzinogen-Forscher Karl Menninger zitiert wird: «Peyote ist ein besseres Gegenmittel gegen Alkohol als alles, was Missionare, der weiße Mann, die Amerikanische Medizinische Gesellschaft und die Gesundheitsbehörde je haben bieten können.» Eine epidemiologische Überprüfungsstudie unter den Indianern der Saskatchewan-Provinz kam zum gleichen Ergebnis: In 99 Prozent aller Fälle wurden Alkoholiker durch Teilnahme an Peyote-Zeremonien dauerhaft entwöhnt.

Diese und andere Untersuchungen erwiesen, daß der therapeutische Effekt bei Alkohol- und Drogensucht nicht im Gebrauch des Peyote, sondern vielmehr in dem durch die kultischen Zeremonien geschaffenen «Setting» begründet sei! Ähnliche therapeutische Wirkungen haben auch die anderen zeremoniellen Tänze, bei denen weder Peyote noch irgendeine andere halluzinogene Substanz verwendet wird.

Inzwischen neigen immer mehr Psychologen und Ethnologen in den USA zu der Auffassung, daß die psychotherapeutischen Effekte indianischer Rituale, die integraler Bestandteil aller nordamerikanischen Indianerkulturen, gleich welcher Provenienz, waren, über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg geistige und seelische Gesunderhaltung gewährleistet haben.

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